Hafenmuseum Speicher XI

Grundgedanken zur Konzeption der Ausstellung


1. Kleine Geschichten und große Geschichte


Der Standort des Museums im Speicher XI birgt die Besonderheit des genius loci und ermöglicht den konzeptionellen Zusammenklang von Ort, Inhalt und Objekt. Der Speicher ist somit als erstes Exponat zu begreifen, dessen Bauweise auf seine Funktion verweist und eine Verbindung zu den Ausstellungsinhalten herstellt.

Die „kleinen“ Geschichten, Gegenstände, Arbeitsabläufe, Planungsabschnitte, alltäglichen Umsetzungen und ihr Wandel stehen exemplarisch für die Ideen-Geschichte des Industriezeitalters des 20. Jahrhunderts in einer Hafenstadt in Norddeutschland, in Bremen, der südlichst gelegenen Hafenstadt in Deutschland.


Die Bremer Geschichte des Freihafens, des Holz- und Fabrikenhafens und des Überseehafens, die Planung, ihr Ausbau, ihr Strukturwandel ist die Geschichte der großen technischen, organisatorischen und erfinderischen Herausforderungen, des steigenden Wohlstandes, des Welt- und Binnenhandels in ihrer Zeit. Sie endet mit der Zuschüttung des Hafenbeckens II im Postindustriellen Zeitalter und beginnt im Zeitalter des globalen und virtuellen Handels mit einer Umnutzung von Teilen des Hafens. Auch der Speicher XI soll durch den Einzug der Kunsthochschule und der Kulturforum GmbH, die auch das Hafenmuseum betreibt, einer neuen Bestimmung zugeführt werden. Ist es nicht auch in einer Zeit, die von hoher Arbeitslosigkeit und Ende der Vollbeschäftigung gekennzeichnet ist, eine gute Möglichkeit, dass aus dem Ort Hafen auch ein Ort der Bildung u.a. für den Stadtteil Walle wird?

Die Bremer Hafengeschichten zeigen aber auch die alltäglichen Arbeits- und Lebensbedingungen der einheimischen und fremden Hafenarbeiter und Arbeiterinnen, erzählen von ihren Begegnungen und von ihren Familien. Diese Geschichten sind wiederum für Arbeits- und Lebensrealitäten (in einer westeuropäischen Hafenstadt) verallgemeinbar. Lokale Geschichten und Gegenstände erzählen von Optimierungsphasen, Technisierungsschüben, Rationalisierungsmaßnahmen im Bremer Hafen und ihren Auswirkungen auf den Menschen.


Quer zu diesen faktisch und kausal erfassbaren Entwicklungen laufen die emotionalen Geschichten, die sich im und um den Bremer Hafen finden lassen.

Vor allem in der individuellen und kollektiven Erinnerung spiegeln sich Hoffnungen, Allmachtsphantasien, Schaffenskraft, Fortschrittsmotoren, Selbstüberschätzungen, Ausreisephantasien, Kindheitserlebnisse, Sentimentalisierungen und Mystifizierungen, Abschied und Trauer.



2. Hafenorte


Der Boden im Speicher XI:

Der Speicherboden als Raum ist erstes Exponat der Ausstellung.

Der Raum hat eine Länge von 25 m, eine Tiefe von 20 m und eine Höhe von 3,25 m. Dies ergibt eine Grundfläche von 450 qm, welche von 12 Innenstützen durchbrochen wird. Diese auf Einzelfundamenten basierenden Stützen ermöglichen u.a. eine Deckenbelastbarkeit des Bodens von 1000 kg/qm.

Ein solcher Boden diente der längeren Lagerung von unterschiedlichen Gütern – je nach wirtschaftlicher Situation und Bedarf – im Hafen. So wurden im Ausstellungsraum des Hafenmuseums Güter wie Baumwollballen, Kaffeesäcke, Tabakballen u.a.m. gelagert, die länger als drei Tage im Hafen deponiert werden mussten.

Die unterschiedlichen Waren wurden entweder mit einem Kran auf die an jedem Boden befindlichen Ladeluken gehoben und mit Hilfe der Aufzüge in oder aus den Böden gehievt. Sie wurden je nach Form und Gewicht des Stückgutes in unterschiedlicher Weise auf dem Boden gestapelt.

Durch die Anordnung der Stücke entstanden Gänge und Wände, es gab keinerlei Regale sondern die Waren wurden möglichst platzsparend im Raum gestaut. Der Boden war ein enger, dunkler, stickiger, geruchsintensiver, häufig staubiger Raum. Tageslicht kam nur durch die zum Becken weisenden Fenster und die Ladeluke, wenige Speicherlampen spendeten ein Minimum an Licht.



     Der Speicher XI:

Die Speicher XI und XIII wurden 1908-1912 erbaut und befinden sich in der Mitte zwischen dem zugeschütteten Überseehafen und dem Holz- und Fabrikenhafen parallel zu beiden Hafenbecken.

Der Ausstellungs-Boden befindet sich im 2. Segment von insgesamt 7 vierstöckigen Segmenten des Speicher XI, der nach dem 2. Weltkrieg mit den Speicher XIII verbunden wurde. So entstand ein Gesamtkomplex in einer Länge von fast 400 Metern mit insgesamt 16 Segmenten mit vier Geschossen, in denen sich insgesamt 61 solcherlei Böden befanden. Dies ergab eine Gesamtlagerfläche von ca. 27.000 qm.

Dieses gigantische Gebäude ist neben dem alten Vegesacker Hafenspeicher aus dem frühen 19 Jahrhundert das einzige noch vorhandene Speichergebäude. Seine Architektur lässt sich mit einem Zitat aus dem Gutachten des Landesamtes für Denkmalpflege von 1994 beschreiben, nach dem es unter Schutz gestellt wurde:


„Dem Architekten (Nause von der bremischen Bauinspektion) gelang es, die ungeheure Baumasse so geschickt zu gliedern, dass selbst nach der Zusammenfassung der beiden Speicher XI und XIII die lange Fassade nicht monoton wirkt. Dies wird vor allem erreicht durch die andeutungsweise an die schmalen giebelständigen historischen Speicher der alten Hafengebäude erinnernden, über die Trauflinie hinausragenden Treppenhäuser und die in gleicher Richtung wirkenden, in doppelter Anzahl vorhandenen Ladelukenreihen, die eigene niedrige Zwerchgiebel besitzen und die Rhythmisierung der Fassade ebenfalls fördern. (...)“ (zitiert nach Schlottau/Tilgner; Der Bremer Überseehafen, S.115)



     Die Häfen












Die Speicher waren die letzte Lagerstufe für die Waren nach dem gelegentlich auch „Bremer System“ genannten Prinzip des Warenumschlags: Die Ware wurde vom Schiff auf die Kaje, entweder direkt auf die Eisenbahn oder in die Schuppen, von dort auf die Schiene oder in die Speicher verladen. Besonders am „Bremer System“ war die Führung der Bahngleise zwischen Kaje und Schuppen und Schuppen und Speicher. Durch den direkten Bahnzugang vereinfachte sich das Laden und Löschen der Schiffe erheblich.

Beim Bau des Überseehafens wurde dieses im Europahafen erprobte Grundmodell noch optimiert: Im Überseehafen wurden statt zwei drei Bahngleise auf der Kaje verlegt und die Schuppentiefe deutlich erhöht.


     Skizze S. 63 und S.101


     Innerhalb dieses „Bremer Systems“ fanden Stauer, Karrenschieber, Stapelleute Arbeit beim Transport der Waren in zentnerschweren Säcken und Gebinden

- aus dem Stauraum des Schiffes an den Kran (Stauer),

- von der Kaje in den Schuppen (Karrenschieber),

- im Schuppen auf die Stapel (Stapelleute),

- aus den Schuppen an die Bahn (Karrenschieber) und auf die      Bahn (Stapelleute)

- aus dem Schuppen an den Kran zum Speicher (Karrenschieber)

- im Speicherboden auf die Stapel (Stapelleute)

Sie verrichteten diese harte körperliche Arbeit unter ständigem Zeitdruck mit einfachen Hilfsmitteln (Handkarre, Sackkarre...) bei jedem Wetter. Trotz installierter Krantechnik, Aufzügen und Motorwinden mussten die Waren zu und von den mechanisierten Hebevorrichtungen geschleppt, geschleift, geschoben und gehievt werden.

Arbeitserleichterungen gingen immer auch mit dem Verlust von Arbeitsplätzen einher. In den 20er Jahren ist der Elektro-Karren exemplarisch für eine rationalisierende und arbeitserleichternde Neuerung für die Arbeit im Hafen. Ein E-Karren ersetzte 10 Sackkarrenschieber.

Die nächste einschneidende Etappe der Rationalisierung und Reduktion schwerster, körperlicher Arbeit war in den 50er Jahren die Einführung des Gabelstaplers, die Palettierung von Gütern und größere Schiffsluken. (S. 131f)

Die nächste grundlegende technische Innovation waren die Einführung der Container und der Roll-on-Roll-off Schiffe, die die schwere Hafenarbeit der Stauer, der Stapel und Schuppenarbeiter überflüssig machte. Jedoch müssen die Container immer noch beladen und entladen werden, die Säcke auf die Gabelstapler geschmissen werden. (Zitat. Arbeit, die krank macht, S.190)



     „Kleine“ Geschichten und „große“ Geschichte

Bei der Beschreibung der Hafen-Räume, dem Ausbau des Freihafens und der Arbeitsabläufe wird deutlich:


Ein Museum, dass in einem Hafenraum angesiedelt ist (Genius Loci), steigt über eine lokale Geschichte ein und erzählt eine regionale Geschichte.



„An Stelle  des    Zitat Piscatot???? Zu großkotzig???



Der Speicherboden steht für Enge und Muffigkeit, für die harte, schweißtreibende, krankmachende körperliche Arbeit des einfachen Industriearbeiters, die der Hafen lange Zeit bedeutet hat. Er steht aber auch für die exotischen Gerüche aus fernen Ländern und die eingelagerten Waren für Austausch von (Luxus)gütern wie Kaffee und Tabak.


Idee ist, die Raumatmosphäre einzufangen, indem der Boden in seiner äußeren Gestalt nachempfunden wird.

1.Durch real gestapelte Säcke oder Ballen entstehen Gänge und Warenstapel, die zunächst diese Enge und Dichte wiederspiegeln.

2.Oder die Wände aus Stückgut werden auf Theatergaze projiziert und der Eindruck von Enge und Fülle darüber hergestellt. Durch die wechselnden Projektion von Waren besteht die Möglichkeit, die unterschiedliche Raumnutzung zu verdeutlichen.

In den realen oder fiktiven Warenstapeln verbergen sich Ausstellungsräume, die durch eine kleine Öffnung (Fenster) einsichtig und durch eine Tür begehbar sind. In diesen Räumen kann die Dunkelheit und Enge aufgehoben oder aber bewusst verstärkt werden.   Hier noch die anderen Ideen?


Die Arbeit eines Staplers und die speziellen Stapel- und Hebetechniken der schweren Gebinde lassen sich über authentische Berichte (Video), über das eigenständige Ausprobieren unterschiedlicher Stapeltechniken der Besucher (unter Anleitung eines alten Staplers) vermitteln, das Gewicht eines Gebindes könnte der Besucher darüber nachempfinden, dass er / sie einen Sack mit 100 Kg Kaffeebohnen selbst füllt und ihn dann versucht zu heben.


Der gigantische Speicher symbolisiert den gigantisch zunehmenden Austausch von Massen-Waren, die umverteilt werden sollten/mussten. Er steht exemplarisch für den steigenden Handel, die aufsteigende wirtschaftliche Situation zu Beginn des 20 Jahrhunderts bis in die „golden twenties“ hinein. Um diesen wachsenden Anforderungen ge-wachsen zu sein, bedurfte es innovativer Ideen, sowohl die Organisationsstruktur als auch die Technik betreffend. Die Organisationsstruktur des „Bremer Systems“ als eine Besonderheit aus dem Bremer Hafen veranschaulicht eben diese Entwicklung.


In diesem Raum arbeiteten die sogenannten Stapelleute. Die Arbeiter fuhren die schweren Gebinde mit Sackkarren von der Ladeluke durch die engen Gänge an Ort und Stelle und hievten sie bis in 3.25 Meter Höhe von Hand. Je nach Gebindeform, ob Sack, Kiste oder Ballen, mussten die Stapel unterschiedlich konstruiert werden, damit sie in sich stabil waren. Hier waren Zusammenarbeit, Kraft, Wurf-, Hebe- und Stapeltechniken von Nöten, um die z.T. 100 kg schweren Säcke in die Höhe und an ihren Platz zu bugsieren.


Der Freihafen als Ort steht für den Kontakt in der Gang, den Kontakt zu fremden Menschen, für steigenden Welthandel und den Geschmack von Freiheit und Abenteuer.

Er steht aber auch für einen Lebensort der einfachen Arbeiterfamilie, in der Mann und Frau im Hafen arbeiten und die Kinder in Hafen betreut werden.

Seine Technik, die Innovationen, seine Organisationsstruktur steht für die Blüte des Industriezeitalters mit seinen Bereicherungen, Innovationsgeist, Machbarkeitsphantasien, Entdeckungsgeist, Arbeiterkampf.


Gestaltungsideen

- Pars pro toto

- Themenräume

- Neugierde wecken

- Nachempfundene Kneipe

- Interviews

- Einsammelaktion


Konzeption und Realisierung, Dauerausstellung Raum I und II: A.Müller, A.Schweisfurth, H.Packmohr, R.Weber

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